Nikolai Vogel / nachwort.de

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Juni 2005


Mittwoch, 29. Juni 2005

Starker Gewitterregen

Die Tropfen schlagen so schwer in die Bäume, dass die ganze Luft nach Blattgrün zu riechen beginnt.

NV am 29.06.2005 um 18:49 »


Die neue Mitte des Romans zum Wichtigtun relevanter Realisten

Martin R. Dean, Thomas Hettche, Matthias Politycki und Michael Schindhelm wollen auch etwas vom Kuchen und veröffentlichten in der Zeit kurz vor den Tagen der deutschsprachigen Literatur ihren Text "Was soll der Roman?", nun bereits als "Manifest für einen relevanten Realismus" geläufig.

"Wenn die vergangenen fünfzehn Jahre nicht eine Zeit der Fäulnis, sondern der Reife waren, dann müsste jetzt mit den Erntearbeiten begonnen werden."

Da wird mir fast schlecht! Diesen Satz würde ich, läse ich ihn ohne Kontext, in ganz anderen Schriften vermuten. Die weiteren Sätze sind nicht viel besser, getragen vom Wunsch, in der Mitte, bei der Mehrheit zu stehen, eine Funktion einzunehmen, mit der man es zu Achtung und Ansehen bringt. Vielleicht sollten die Herren Landräte werden? Wollten sie eine Parodie verfassen? Ich kann gar nicht glauben, dass das wirklich ernst gemeint ist.

NV am 29.06.2005 um 00:27 »


Dienstag, 28. Juni 2005

Klagenfurt Plug In

Zurück in München. In der Stadt ist eine Löwenmanie ausgebrochen. Überall stehen sie. Kitschkönige.

Die Zugfahrt von Klagenfurt zurück nach München flog unter den Gesprächen vorbei. Erst mit Robert Renk, der das Sprachsalz-Festival in Hall bei Innsbruck veranstaltet, dieses Jahr vom 16.-18. September, ich habe gestern gleich ein Zimmer dort gebucht. Anschließend, als Robert umsteigen muss, lerne ich einen Wildbiologen kennen, der im Speisewagen am Nebentisch sitzt, tiefkonzentriert wie gefesselt in einer Zeitschrift über Raum- und Landschaftsplanung liest, und unterhalte mich über John Berger, Wildrezepte, besseres Leben.

Vor der Preisverleihung fast überall als einer der vier Favoriten besprochen und danach der einzige von ihnen, der unter dem Podest durchtauchte. Traurig, ein bisschen, aber nicht unglücklich. Das waren gute Tage im ORF-Studio und um das ORF-Studio herum und eben kein Hauen und Stechen, nicht so, wie man es von Miss-Wahlen hört, keine ausgeklappten Ellenbogen, sondern Gespräche und Gelassenheit zwischen den Autoren.

Die Texte findet man auf der Seite zum Bachmannpreis. Die Diskussion über "Plug In" und meine Lesung sind dort auch nachholbar, wenn man sie live verpasst hat. (Die Seite wird irgendwann ins Archiv ziehen, dann suche man sie dort.) Als Ergänzung kann man die Beiträge in der Zeitschrift Volltext lesen, in der alle Autoren vorher einen kürzeren Text veröffentlichten. (Neben der gedruckten Ausgabe wurden sie auch im Internet verfügbar gemacht, hier geht es zur Übersicht und zu meinem Beitrag "Textalltag. Vom Fortschreiben." Ich weiß nicht, wie lange diese Links Bestand haben.)

Zuschauer des Wettbewerbs diskutieren mit, live auf ihren Websiten. Dieser direkte Rückkommentar, diese Jury der Jury ist spannend und bringt Neubewegung in das Ritual. Sehr ausgiebig und durchaus kompetent zum Beispiel Hella Streicher in HWeblog, nur wiederholt sie etwas penetrant, sie selbst könne das ja alles besser, man möge nur ihr Buch lesen. Der Kommentar gerät dadurch in Schieflage, wie eine Werbeschrift. Weitere Beispiele: Andreas' Journal, Dagbok, Femis & Mikels Lockbuch, Poetisches Forum, Liisas Litblog. Beachten muss man hier auch, dass diese Kommentare ebenfalls fast live geschrieben wurden und ihre Verfasser die Texte vorher im Gegensatz zur Jury wirklich nicht kannten.

Lektüre! Gestern aus der Buchhandlung: Terézia Mora "Alle Tage", schon die vierte Auflage, und Andreas Maier "Kirillow".

Die Bücher, die Platten der letzten Wochen. Brinkmanns "Westwärts" und die Schnitte-CDs. Fredy Neptune. Kraftwerk Live. Radioaktivität. Strahlentod und Mutation. All die Endlager. Analord 1-11. Venetian Snares. Klassiker.

Uwe Tellkamps "Der Nautilus", aus dem er lange bei Season II las. Danach unterhielten wir uns, nicht in allen Punkten übereinstimmend, über die Differenzen von Prosa und Lyrik.
Die neuen Zwickel. Zwei Euro Münzen. Staatsvertrag, Don Quichotte.

Weiter Venus No. 17, Tundra 4. Wie Serien. "Wieso Wassertürme?" könnte jemand fragen und Bahnhof verstehen. Auch Zug der Wolken.

Riesenhafte Windows-Werbung an der Staatsbibliothek-Fassade. Am Wissen der Schönheit fensterln?

Google-Sucht. Graben nach neuen Fundstellen, ständig. Manie.

Jungs, die stundenlang kickern und sich nicht ein Mal in die Augen schauen.
Wie öffentlich soll man ein Notizbuch machen?
Notizen ins Netz heben, damit sie keine mehr sind?
All die Tatsachen, all die Berichte, all die Geschichten.
Wofür haben wir Zeit? Wie weit soll man gehen?
So privat - denkste!

NV am 28.06.2005 um 13:17 »


Titelei mit Leihfahrrad

Mein erster Text über die diesjährigen Tage der deutschsprachigen Literatur, dort mittenheraus geschrieben. Er erschien unter dem gekürzten Titel "Textsortenkarussell" in "Die Presse" (österreichische Tageszeitung), am Samstag, 25.6.2005:

Textsortenkarussell mit Leihfahrrad

Der Taxifahrer schwärmt uns den nahenden Beginn des Stadtfestes vor, hofft, es möge nicht regnen, was das Taxigeschäft kaputtmacht, fragt uns, ob wir deshalb hier sind. "Es gibt jedes Jahr die Lesungen hier", sagen wir, "die Lesungen um den Bachmann-Preis." "Ach ja", sagt er und man weiß nicht, was es heißt. – Für die Losnummer Eins ernte ich eher bedauerndes Schulterklopfen, Ermunterrungen, eine Autorin allerdings gesteht mir, sie hätte gerne als Erste gelesen - sie liest zum Schluss ... Kurz nach Ziehung der Reihenfolge werde ich gefragt, ob ich bis Freitag Mittag einen Text über Klagenfurt, über den Wettbewerb schreiben könnte. Ich weiß nicht, ob es mir nicht zu schnell geht, für ein Darüber, aber ich schreibe einen Text in Klagenfurt, aus Klagenfurt. Letztes Jahr schrieb ich als Zuschauer nach den Lesungen: "Klagenfurt ist kein Text. Klagenfurt ist eine Lesart. Eine Lesart, die es nicht gibt, die sich erfindet. Ein Textsortenkarussell, eine Spieluhr, die mit Noten versorgt sein will, von der man aber nicht weiß, wie sie sich dreht, ein Recyclinghof der Interpretation, eine Nebenrechtsverwertung, ein Bild." Die Rituale, der See, die Leihfahrräder. "Ältere Semester", sagt der Vermieter. Wer weiß, wer alles schon auf meiner Nr. 373 saß und herumfuhr. Eine Anthologie! Die wirklich Eingeweihten sind die Leihfahrräder, der rollende Betrieb. Körperaufnahme. Der Sessel, auf dem ich lese, ist sehr bequem. Leider wird nur der Tisch versteigert. Ein Textsortenkarussell. Diesmal habe ich selbst einen Text hineingesetzt. Er dreht sich noch.

Für das Wort "Textsortenkarussell" bedanke ich mich bei Paul Jaeg, es steht im Vorsatz seines Buches "Der Landwiener Thomas Bernhard".

NV am 28.06.2005 um 11:46 »


Donnerstag, 23. Juni 2005

Donnerstag, neun Uhr morgens, Klagenfurt

als erster lesen

NV am 23.06.2005 um 08:06 »


Montag, 20. Juni 2005

Lektürefragen

Auf der Suche nach Büchern. Welches ziehe ich aus dem Regal, welches nehme ich mit, lese ich als Nächstes? Die Seiten prüfen, den Geruch, die Stärke des Papiers. Anfänge. Wie man hineinkommt - ob man einen langen Atem braucht, erst ein ausgedehntes Stück lesen muss, die lange Distanz, nichts für Zwischendurch, für häufiges Umsteigen, Unterbrechungen aller Art. Ein Neues, noch nie Gelesenes, oder eines, das man längst wieder lesen wollte. Schweigend stehen sie im Regal, horchen in mich, sehen mich an.

NV am 20.06.2005 um 15:04 »


Mittwoch, 15. Juni 2005

Plattenteller, nachmittags

Die an- und abschwellende A-Seite der Analord 11. Gezeiten, Leuchttürme. Der Himmel, als mache er, was er will. Wassertürme im Zimmer.

NV am 15.06.2005 um 18:06 »


Sonntag, 12. Juni 2005

Infantillerie

Paul McCarthy, Eröffnung im Haus der Kunst, "LaLa Land". Westernmythos mit Englischem Garten. Stämmige, gepflegte Brauereipferde ziehen die Planwagen. Ihnen folgt Blasmusik. Alles nah am Oktoberfest, auch das mit Zahnrädern und Ketten bewegte, schwankende Schiff in der Ausstellung, an dem Besucher hochklettern wollen. Die Vernissage ist vormittags und ich stelle mir vor, dass abends McCarthys Mutter kommt, ihn ins Bett zu schicken: "Genug gespielt". Nach dem Umzug höre ich einen Blasmusikanten einen anderen fragen: "Und? Meinst du, dem Künstler hat es gefallen?" Auf der Terrasse Bänke und Biertische. Radieschen. Pro Radii.

NV am 12.06.2005 um 16:40 »


Aus der Hand oder unter den Fingern

[Abschrift aus dem Notizbuch, geschrieben im ICE von Berlin nach München, 9.6.5. Vorzustellen als schwer lesbar, wie ein verwackeltes Bild:]

Die Gelegenheit zur Handschrift nur noch wenn der Laptop nicht dabei ist? Die selten geschriebene, verwehte Handschrift, das Manuskript immer schon im Computer, Handschrift als sich auflösende, verlierende Gattung, nur noch flüchtige Nebenbeis aufnehmend und tragend, der Zug rüttelt arg, verschüttelt die Wörter, die Buchstaben, wie ein Tanz, ein Sich-Entgegenstemmen in der Bewegung der Zeit.

"Haben Sie auch nichts vergessen?" leuchtet das Display über der Wagentüre und die Flasche kommt in Bewegung beim Bremsen des Zuges, rutscht, bis mein Finger sie stoppt, beim Halt in Erlangen, rutscht in die entgegengesetzte Richtung, zurück auf die Ausgangsposition, der Zug wieder angefahren, wieder in Fahrt, die Buchstaben, das Alphabet wieder verschottert in der Hebung und Senkung der Schwellen. Das Licht schwindet der Sonne hinterher, die dunkleren Wolken vor hellerem Himmel, die dunkleren Bäume über helleren Wiesen. Ein Handy empfängt eine SMS, ich sehe nach, es ist nicht meines. Alles auf Empfang, wir sitzen im Zug und senden, senden in die Welt hinein, hier sind wir und ihr woanders. Wo? Wo wir, wo ihr? Die Welt stemmt sich fortwährend gegen ihr Zitat, überholt es, wird eingebaut und kommt wieder aus. Fürth, kein Halt an den Ursprüngen des Zuges, die Fahrt aufgenommen, weiter nach Nürnberg, ob man dies wird lesen können? Ob die Fortbewegung, die Erfindung der Strecke, das Wisssen, die Erinnerung bewahrt?

NV am 12.06.2005 um 16:39 »


Samstag, 11. Juni 2005

Alles in Landschaft

Mittwoch auf Donnerstag kurz nach Berlin. Zehn Minuten aus dem "Wetterroman" im Roten Salon. Unter Wolken im Staub zum Mahnmal, einige Wege hindurch. Lektüre im Zug.

NV am 11.06.2005 um 19:02 »


Mittwoch, 1. Juni 2005

Bilder entwickeln

Gestern Abend Bekanntgabe der neuen Liste für die Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt. Das kleine Bild von mir überrascht mich ein wenig. Der Portraithintergrund Himmel? Rauch? Inspiriert durch die Vorstellung vom Wetterroman oder ein Münchner im Himmel? Anderen legen sie ein Kopfkissen hinters Gesicht, Schienen, Wasser. Sieht man sich wie man gesehen wird? Werden Bilder entwickelt? Entstehen? Und man steht darin, davor. [weiter]

NV am 01.06.2005 um 13:38 »


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