Nikolai Vogel / nachwort.de

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Mai 2007


Mittwoch, 30. Mai 2007

Trinken

Die Frauen neben uns an der Theke können sich nicht entscheiden, ob sie das Wasser mit oder ohne Kohlensäure wollen. Der Kellner löst das Problem, bringt zwei kleine Flaschen, eine mit, eine ohne, und füllt jedes Glas halb aus der einen, halb aus der anderen. In unseren Gläsern steigen die Blasen beschwingter: Spumante. Draußen prasselt der Regen, die Türen der Busse von Schirmen belagert. Zurück in der Villetta findet sich ein Wasserfleck an der Decke, die Terrasse ist leck, die Wand schluckt. Morgens darauf hören wir erst nur das Geräusch: die Tropfen haben begonnen, sich abzuseilen. Ein jeder löst sich ganz behutsam, spitzt zunächst ein wenig aus dem Deckenputz, wird langsam Beutel und endlich Flugball. Unseren Topf auf den Boden als Tropfenfänger, gekocht wird erst später, mit Wasser und Wein.

NV am 30.05.2007 um 20:58 »


Montag, 28. Mai 2007

Trächtige Katzen

schreien wie Babys. Eine kleine Spinne im Bad kann springen. Vögel schaukeln auf Stromleitungen. Eine Fliege fliegt den Duden an und landet auf "E" und auf "U" und bisweilen auf Gelb. Mücken erkunden kleinste Luftwirbel. Eine Rose verliert eines ihrer Blätter, ein Käfer sein Zuhause. Er krabbelt fort. Ein Vogel schaut zu. Alles ab Rose ist erfunden. Und alles vorher ist auch ungenau oder geschönt. Aber trächtige Katzen schreien wie Babys, das stimmt ungefähr!

NV am 28.05.2007 um 20:39 »


Sonntag, 27. Mai 2007

Temporale

Mittagsgewitter pfingstsonntags. Unter der Dusche und vor dem Badfenster der Regen. Tropfenvorhang vor Zypressen, Geräuschteppich auf Kies. Gestern nach Prato. Die Hinfahrt mit einem Busfahrer, der an der Ampel zum Radio-Heavy Metal Luftgitarre spielt. Filippo Lippis abgeschlagene Köpfe im Dom. Dekadenz in den gelangweilten Gesichtern der Tafelnden. Schon wieder ein Geköpfter, als wäre es Alltag. Nebenan in der Manassei Kapelle starren Figuren auf den Rumpf des Kopflosen noch wie auf eine Jahrmarktsensation. Die Macht fasziniert, weil sie töten kann. Und sehen in der Stadt allerorten interessante Gesichter, die wir abends wiederfinden: Künstler aus der Ex-Sowjetunion - Progressive Nostalgia, große Eröffnung im Centro per l'Arte Contemporanea Luigi Pecci. Viel Video und draußen Vin Santo. Die Rückfahrt mit einem Busfahrer, der während der Fahrt seinem Vater durchs Handy den Weg erklärt. Ab Firenze Stazione zu Fuß weiter, durch die sich leerende Stadt, hinauf die Via Senese, ohne Soundcheck. Gegen Mitternacht die Verbindung Villa Romana - Schloss Nymphenburg. Meinen Remix durchs Handy auf das Mikrofon. Die Magie des Schönen.

NV am 27.05.2007 um 16:23 »


Samstag, 26. Mai 2007

Zusammenfassung, subjektiv, kurz

Im Radio nachts schöner Techno. Lange Strecken, 90er. Die Flugkunst der Schnaken. Stiche wachsen aus der Haut. Blick über die Stadt. Flimmernde Lichter. Luftschichten, Strömungen, Temperaturen. Offene und geschlossene Fenster.

NV am 26.05.2007 um 02:23 »


Montag, 21. Mai 2007

Blicke, Milano

Im Zug Handys reihum, die Gespräche wie Fäden hinaus durch die Luft, kaum einer redet mit dem Gegenüber. Über den Apennin und durch Tunnel. Mailand im Mai. Günther Förg in der Galerie Ala. Sonnenbrillenverbot, man soll sehen, nicht gesehen werden wollen. Keine Modenschau, kein Laufsteg. Neue Bilder und vor allem drei große Hefte, die eine behandschuhte Mitarbeiterin den ganzen Abend lang geduldig vorblättert. Ein gutes, verstecktes Restaurant. Und nachts keine Kneipen, aber Wasser geschenkt, weil wir einen Lieferanten nach einer Bar fragen und ihm in der Nähe keine einfällt, die noch offen hat. Spiegel im Aufzug und Klimaanlage im Zimmer. Nur die Simulation einer Meeresbrise, wir schalten sie ab, irgendwann, für die Stille. Morgens Festland. Klappern von Absätzen. In Städten geht man viel. Fußgängerzonen und vielleicht daher auch die vielen Schuhläden? Etwas über 160 Stufen auf das Dach des Mailänder Doms und dann noch mehr, immer vorbei am Strom derer, die wieder hinabsteigen. Oben ein amerikanisches Basketball-Team und Handys und Fotos. An allen Häusern hängen Frauengesichter und werben für Duft, Schmuck und Kleidung. Das letzte Abendmahl ausverkauft bis in den Juni. Ein junger Amerikaner fotografiert das "Sold Out"-Schild. "That's as far as I can get to Leonardos Last Supper, so that's my picture." - Wir dürfen rein, mit italienischer Führung, und schauen, so viel wir in unsere Augen bekommen. Der sauber geweißelte Raum, Kloster, Pferdestall, und die durchbrochene und wieder zugemauerte Türe, die Jesus die Füße wegnahm. Die Falten der Tischdecke, dass man ausmachen kann, wie sie zusammengelegt war. Und eine Frau? Der Abstand zwischen Johannes und Christus. Modellarchitektur, schnörkellos, zeitlos. Menschen, ausgerichtet auf den Beobachter, für den eine Seite des langen Tisches reserviert bleibt. Und ein Blick hinaus in die Landschaft. Nach einiger Zeit bellt der Lautsprecher, dass die Zeit abgelaufen ist, Einlass der nächsten Gruppe. - Mehr Platz in Mailand, breitere Straßen, die Bürgersteige für zwei Beine ausgelegt. Anders Florenz, ein Gewusel. Die Stadt ersäuft im Tourismus. Nahende Pfingstflut. Die Verkündigung, lese ich, ist in Japan. Ein Ehepaar am Kiosk bei den Postkarten. "Schau, das! Das ist doch der schiefe Turm von Pisa!" - "Ja!" - "Aber auch blöd, oder, wenn wir den jetzt verschicken - wo wir doch in Florenz sind." So ist es. Schnaken im Zimmer. Vom Dach der Villa Romana der Blick auf die Stadt und der Wind, der die hohen Zypressen wiegt.

NV am 21.05.2007 um 15:10 »


Dienstag, 15. Mai 2007

Mal Ruhe und

guten Chianti. Beides hier nicht leicht zu finden. Luxusprobleme und Welt aus Feinstaub. Alles überzogen vom Gold (Feingold & Goldstaub) unserer Träume. Blüten - und hoffen auf mehr als

NV am 15.05.2007 um 01:47 »


Sonntag, 13. Mai 2007

Noch mal Kaffee

Frühstück ausgedehnt und in ausgedehnte Gartenanlagen. Ein Weinladen mit alten Jahrgängen. Gestern einen kurzen Text fertig und stundenlang den Titel dazu gesucht. Ein Reiher im Giardino di Boboli, der erst das Weite sucht, als wir ihm den Rücken kehren. Hoch die Via Senese und hinein in den Abend. Die Vögel singen gegen den rollenden Wahn der Straßen an. Hunde spielen Wer-lauter-kann. Komm-dem-Auto-nicht-zu-nahe-Alarmanlagen schreien dann und wann dazwischen. Die Türglocke nimmt einen Tag frei, das Radio ist in unserer Hand.

NV am 13.05.2007 um 20:06 »


Freitag, 11. Mai 2007

Friedhöfe mittags

geschlossen. Böcklin ein anderes Mal.

NV am 11.05.2007 um 23:32 »


Donnerstag, 10. Mai 2007

Netze

Was ist Kultur? - "Wenn man das definieren könnte - dann wäre es ganz schlimm." Sagt der scheidende Kulturminister der Schweiz, Heinrich Gartentor, in einem Gespräch über Kultur und Lobbying. Und meint dann doch, das, was unsere Identität schafft. - But in a wider context there is bondage all over the place ... The purpose is to look for that picture: Auf der Documenta-Homepage nichts als ein Film aus YouTube, voller Fesselungen und Fangnetze, der nun schon verschwunden ist und die Site wieder frei gibt. Master, did you tie her up? Ihre Plakate, die jetzt überall aufblühen, schauen aus, wie die von der letzten Buga in München. Weichgezeichnetes Blumiges. - Links setzen, die dann wieder zerreißen. Zitate ins Leere. Als wäre dies hier ein Weblog. Eine Mitschrift, die die Koordinaten meines Surfboards festhält. Über die Gischt der WWWellen, die sich gleichbleibt und ändert ...

NV am 10.05.2007 um 11:26 »


Mittwoch, 9. Mai 2007

Duelle zu Fuß

Nachmittagsschlangen beim Obst und in den Supermärkten. Verkehrslärm und Abgase entern den frühen Abend. Auf engen Bürgersteigen Ausweichmanöver. Wer recht haben muss.

NV am 09.05.2007 um 22:05 »


Dienstag, 8. Mai 2007

Überschreibung, Lektüre

Morgens Vogelkonzert. Im Garten Plastiken und Skulpturen fotografieren. Vieles, was gerade vergeht.

NV am 08.05.2007 um 12:51 »


Montag, 7. Mai 2007

Foto

Hügelab über Zypressen und Pinien. Hinter der Stadt das Auf und Ab der Höhenlinie. Die Bewaldung blau, tiefer als der darüber liegende Himmel. Stehenden Wolkenwattebäusche, die Unterseiten grau gerieben, vom Flug über die Berge.

NV am 07.05.2007 um 20:43 »


Sonntag, 6. Mai 2007

Welt aus Worten

Den Sonntag die Villa nicht verlassen. Schreiben und lesen. Lesen und schreiben. Draußen spielt der Regen mit Katzen und die Wolken geben an mit Licht. Die Radiosender drängeln sich durch Frequenzen, getrennt nur vom Hauch einer Drehung. Mails empfangen, Mails senden. Alles Mosaik. Und von wann das Baptisterium? Welt aus Bildern.

NV am 06.05.2007 um 20:48 »


Samstag, 5. Mai 2007

Kaffee, Urin, Wasser

Bei Gilli Kaffee an der Bar, dunkel und kräftig, für einen Euro, weil wir uns nicht setzen lassen. Auf der Herren-Toilette Pissoirs, in einer Form, die ich, noch nicht oder selten gesehen habe, geschweige denn in "Geld Scheiße" gesampelt. Die florentinische Art, angelehnt an gotische Fenster, kopfüber? Das nächste Mal den Namen notieren, irgendetwas mit "Pezzo", wollte es mir doch merken ... Das Spülsystem Mainstream, Geberit wie allerorten. Wasserabschlagweltfirma. ("Unsere Aktivitäten sind global ausgerichtet.") Das Waschbecken genau gegenüber, wer sich die Hände waschen will, stößt den Pinkelnden an den Hintern. Draußen Passanten, die Eis schlecken, mit weit ausholenden, fleischigen Zungenbewegungen. Raubkatze, Tier. Der Mensch ist eine Erfindung, Fiktion, das Gemachte. Aus einer Videothek Filme von Nanni Moretti und Pier Paolo Pasolini. Mortadella, Salami, offener Wein. Und der Regen weicht der Nacht.

NV am 05.05.2007 um 22:35 »


Freitag, 4. Mai 2007

Flandern - Florenz

Draußen bewölkt mit Vogelkonzert. Den Tisch hier voller Prospekte und Führer. Allerdings nicht über die Toskana, sondern über Belgien. Aus dem letzten Winter mitgebracht. Schreibend am Roman zwischen München und Antwerpen. Und im Maileingang passend gerade den Newsletter aus Flandern. Wolkenbruch, Kaffee, der Tidehub des WWW.

NV am 04.05.2007 um 12:52 »


Donnerstag, 3. Mai 2007

Firenze, eine Nacht, einen Morgen, einen Tag in den Abend

Die roten Ampeln, damit sich davor die Taxifahrer miteinander unterhalten. Ankommen, aufwärts, Richtung Siena. Zimmer durchmessen. Eine Nacht schon gelegen, zugedeckt und geträumt. Die Wände atmen frisches Weiß. Am Morgen die Glocke und Post mit Gepäck. Ins Regal Bücher. Einkaufen wandern. Wasserdampf, Pasta, Wireless LAN. Im Garten die ersten Glühwürmchen auf der Suche nach Sprache. Ungelenk noch und auf und ab wie seekrank. Der Dom eine Schnecke, die Kontakt sucht. Zum Himmel. Ungemähtes Gras. Die Nacht und geschlossene und offene Fenster mit allerhand Flügen.

NV am 03.05.2007 um 22:10 »


Dienstag, 1. Mai 2007

Grenzgänge

Heute über die Grenze gefahren. Über zwei. Also zwei, die noch allgemein so genannt werden. Landesgrenzen. Passiert man in der EU mit Pass oder Ausweis ohne Aufregung. Wie es ohne zugeht? Sollte er wider Erwarten doch verlangt werden, wahrscheinlich noch immer wie in Travens Totenschiff. Also von Deutschland über Österreich nach Italien gefahren. Mit Ausweis. Ohne Aufregung. Ohne Grenzbeamte. Zumindest werde ich voraussichtlich keine gesehen haben, ich schreibe ja für ein Heute, das heute noch als Morgen vom Heute getrennt ist, das noch über die Tagesgrenze gehievt werden muss, von der Drehung der Erde. Über eine Grenze fahren, von der nur Grenzruinen übrig sind. Stehengeblieben aus vorigen Jahrzehnten, die mittlerweile alt aussehen. Aber die eigentliche Grenze, die früher blieb, im anderen Land, die nicht einfach nur überschritten wurde, sondern präsent war, war immer das Geld, das andere Geld. Der Tausch. Das Rechnen. Das Haushalten, wenn es jedesmal wieder kurz vor der Rückreise knapp wurde, aber nicht lohnte, noch mal einen Fünfziger zu wechseln, da die Tauschgebühr ans Unverschämte grenzte. Seit diese Geldumtauschgrenze nicht mehr existiert, existiert auch die andere, die Landesgrenze nicht mehr wirklich. Nicht von Deutschland nach Österreich. In Italien dann zumindest die Sprachgrenze, das ist noch eine, die etwas Bestand haben wird, bevor sie zu Ruinen verfällt. Na ja, aber auch in der Schweiz, beispielsweise, versteht man Deutsch. Aber auf die Grenze versteht man sich auch. Die Grenze würde man nie aufgeben. Die Grenze ist Wertarbeit von der gleichen Qualität wie die Uhren, die Schokolade und das Schweizer Geld. Da kann man sich noch drauf verlassen. Im März mit Kilian Fitzpatrick für Black Ink Cuisine nach Frankreich ins Burgund über die Schweiz gefahren. Nur auf dem Hinweg. Auf dem Rückweg ja der Wein im Kofferraum, da riskiert man den Grenzgang in die Schweiz lieber nicht, also lieber zurück über Karlsruhe statt über Zollformalitäten, die wir ja schon von unserer Black Ink Schweiz-Lesereise im Januar für die mitgeführten Bücher kennengelernt hatten. Für den Hinweg ins Burgund war es aber doch jetzt wieder eine gute Idee, eine Abwechslung, eine große Kurve um den Bodensee. Rein in die Schweiz und durch die Schweiz durch und dann auf der anderen Seite der Schweiz wieder raus aus der Schweiz. Nichts zu verzollen, aber lange Haare, altes Auto. Das gibt zu denken. Immer noch. Immer wieder. Kein neuer BMW, kein Anzug, keine Krawatte. Also wohin? Und warum? Was wir da tun? Warum denn über die Schweiz nach Frankreich? Das fragen uns die Grenzbeamten. Die aus der Schweiz oder die aus Frankreich? Eine Grenze hat ja immer zwei Seiten. Also auch zwei Beamtenapparate. Eine Grenze passiert man beim Grenzgang genau genommen nicht einmal, sondern zweimal. Besonderes Interesse gilt an der Grenze dem Kofferraum. Der Kofferraum ist die Blaue Blume des Grenzbeamten. Also raus und Kofferraum auf und zusehen, wie ein behandschuhter Grenzbeamter in den Reisetaschen wühlt. Ein anderer steht als Aufpasser da und beobachtet uns, schaut, was wir mit unseren Händen machen, durchsucht schließlich unsere Geldbörsen. Eine Beamtin verschwindet währenddessen mit den Ausweisen ins Grenzhäuschen. Der Behandschuhte stöbert. Die Beamtin kommt zurück, macht eine kleine verneinende Kopfbewegung in Richtung des Behandschuhten. Dieser sieht fast beleidigt aus. Kein Eintrag, kein Verdachtsmoment. Hebt pro Forma noch die Jacken und Taschen auf der Rückbank hoch, prüft aber gar nicht mehr richtig nach, ob etwas Verbotenes darunter liegt. Dann hält man uns die Pässe hin und dreht sich im selben Moment abrupt weg. Kein "Gute Reise", nichts. Lassen uns stehen, zeigen uns die Rücken und gehen. Wirken richtiggehend schlecht gelaunt, weil wir so dreist sind, keine Verbrecher zu sein, keine Schmuggler, nichts mit Waffen, Drogen, Menschenhandel oder so etwas am Hut haben. Weil wir also die Mühe umsonst gemacht haben. Schlichte Grenzgänger eben.

[Fernbeitrag für das Season II-Vorprogramm am 2. Mai 2007]

NV am 01.05.2007 um 00:35 »


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