Nikolai Vogel / nachwort.de

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Dienstag, 1. Mai 2007

Grenzgänge

Heute über die Grenze gefahren. Über zwei. Also zwei, die noch allgemein so genannt werden. Landesgrenzen. Passiert man in der EU mit Pass oder Ausweis ohne Aufregung. Wie es ohne zugeht? Sollte er wider Erwarten doch verlangt werden, wahrscheinlich noch immer wie in Travens Totenschiff. Also von Deutschland über Österreich nach Italien gefahren. Mit Ausweis. Ohne Aufregung. Ohne Grenzbeamte. Zumindest werde ich voraussichtlich keine gesehen haben, ich schreibe ja für ein Heute, das heute noch als Morgen vom Heute getrennt ist, das noch über die Tagesgrenze gehievt werden muss, von der Drehung der Erde. Über eine Grenze fahren, von der nur Grenzruinen übrig sind. Stehengeblieben aus vorigen Jahrzehnten, die mittlerweile alt aussehen. Aber die eigentliche Grenze, die früher blieb, im anderen Land, die nicht einfach nur überschritten wurde, sondern präsent war, war immer das Geld, das andere Geld. Der Tausch. Das Rechnen. Das Haushalten, wenn es jedesmal wieder kurz vor der Rückreise knapp wurde, aber nicht lohnte, noch mal einen Fünfziger zu wechseln, da die Tauschgebühr ans Unverschämte grenzte. Seit diese Geldumtauschgrenze nicht mehr existiert, existiert auch die andere, die Landesgrenze nicht mehr wirklich. Nicht von Deutschland nach Österreich. In Italien dann zumindest die Sprachgrenze, das ist noch eine, die etwas Bestand haben wird, bevor sie zu Ruinen verfällt. Na ja, aber auch in der Schweiz, beispielsweise, versteht man Deutsch. Aber auf die Grenze versteht man sich auch. Die Grenze würde man nie aufgeben. Die Grenze ist Wertarbeit von der gleichen Qualität wie die Uhren, die Schokolade und das Schweizer Geld. Da kann man sich noch drauf verlassen. Im März mit Kilian Fitzpatrick für Black Ink Cuisine nach Frankreich ins Burgund über die Schweiz gefahren. Nur auf dem Hinweg. Auf dem Rückweg ja der Wein im Kofferraum, da riskiert man den Grenzgang in die Schweiz lieber nicht, also lieber zurück über Karlsruhe statt über Zollformalitäten, die wir ja schon von unserer Black Ink Schweiz-Lesereise im Januar für die mitgeführten Bücher kennengelernt hatten. Für den Hinweg ins Burgund war es aber doch jetzt wieder eine gute Idee, eine Abwechslung, eine große Kurve um den Bodensee. Rein in die Schweiz und durch die Schweiz durch und dann auf der anderen Seite der Schweiz wieder raus aus der Schweiz. Nichts zu verzollen, aber lange Haare, altes Auto. Das gibt zu denken. Immer noch. Immer wieder. Kein neuer BMW, kein Anzug, keine Krawatte. Also wohin? Und warum? Was wir da tun? Warum denn über die Schweiz nach Frankreich? Das fragen uns die Grenzbeamten. Die aus der Schweiz oder die aus Frankreich? Eine Grenze hat ja immer zwei Seiten. Also auch zwei Beamtenapparate. Eine Grenze passiert man beim Grenzgang genau genommen nicht einmal, sondern zweimal. Besonderes Interesse gilt an der Grenze dem Kofferraum. Der Kofferraum ist die Blaue Blume des Grenzbeamten. Also raus und Kofferraum auf und zusehen, wie ein behandschuhter Grenzbeamter in den Reisetaschen wühlt. Ein anderer steht als Aufpasser da und beobachtet uns, schaut, was wir mit unseren Händen machen, durchsucht schließlich unsere Geldbörsen. Eine Beamtin verschwindet währenddessen mit den Ausweisen ins Grenzhäuschen. Der Behandschuhte stöbert. Die Beamtin kommt zurück, macht eine kleine verneinende Kopfbewegung in Richtung des Behandschuhten. Dieser sieht fast beleidigt aus. Kein Eintrag, kein Verdachtsmoment. Hebt pro Forma noch die Jacken und Taschen auf der Rückbank hoch, prüft aber gar nicht mehr richtig nach, ob etwas Verbotenes darunter liegt. Dann hält man uns die Pässe hin und dreht sich im selben Moment abrupt weg. Kein "Gute Reise", nichts. Lassen uns stehen, zeigen uns die Rücken und gehen. Wirken richtiggehend schlecht gelaunt, weil wir so dreist sind, keine Verbrecher zu sein, keine Schmuggler, nichts mit Waffen, Drogen, Menschenhandel oder so etwas am Hut haben. Weil wir also die Mühe umsonst gemacht haben. Schlichte Grenzgänger eben.

[Fernbeitrag für das Season II-Vorprogramm am 2. Mai 2007]

NV am 01.05.2007 um 00:35


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