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Sonntag, 11. Juli 2004

Wassertürme, Variationen, Lieblingsbücher, Schönste Wörter

Gestern in die schon seit einem Monat hängende Bernd & Hilla Becher-Ausstellung im Münchner Haus der Kunst. Typologien, die Mehrzahl gereiht in fünf mal drei Bilder. Fördertürme, Gasbehälter, Hochöfen, Getreidesilos. Die Industriebauten, nicht die Fachwerkhäuser der Dokumenta 11. Alles auf diesen Fotografien ist sauber. Es gibt keinen Schmutz, keinen Müll, zumindest erscheint er nicht als solcher. Und es gibt keine Menschen, kaum Tiere, wenn mal auf dem Dach eines Gebäudes ein paar entfernte Vögel sitzen, wirkt es wie ein Versehen, alles ist verlassen, die Faszination entsteht in der Retrospektive, im Eindruck des Verschwindens.

Schwarz-Weiß-Fotografien, die bei Bechers manchmal wie gezeichnet anmuten. Die Wassertürme, zu denen ich immer wieder zurückkomme, ein ideal wirkendes Spielfeld für architektonischen Purismus - auf einem der drei Plakate zur Ausstellung der Wasserturm von Dole, an dem man vorbeikommt, wenn man von Poligny im Jura nach Puligny ins Burgund fährt. Der Katalog ist schön, sollte aber fast das doppelte Format haben, auch wenn er dann unhandlicher wäre, die Bilder sind beinahe Thumbnails.

Danach in eine andere Typologie, in "The Five Obstructions" von Lars von Trier und Jørgen Leth. Ein mutiges Experiment, das im Gegensatz zu vielen anderen Filmen Triers zu nichts zu führen scheint, in einer Art Machtkampf zwischen Trier und seinem ehemaligen Lehrer Leth verharrt. Die Varianten die Leth zu seinem "Der perfekte Mensch" nach den Regelvorgaben Triers dreht, wirken sämtlich wie MTV- oder VIVA-Spots, Edelkitsch, einer sogar wie Autowerbung, was zwar als Kommentar über die heutige Filmerei zu interpretieren wäre, aber nichts besser macht. Ein Film, den man umdrehen kann, nimmt man ihn als Kalkül, spielt man damit, dass der Text von Trier, den Leth am Ende lesen muss, etwa doch von Leth, von beiden sein mag, dass "The Five Obstructions" vielleicht sogar von diesem Ende her entstand. Ein Film über den ich mich lange unterhalten könnte, den ich aber wahrscheinlich höchstens einmal sehen will, der nicht nachwirkt, wie z.B. die "Idioten".

"Wir helfen Ihnen bei der Suche nach Ihrem Lieblingsbuch" schreibt das ZDF zur Aktion "Unsere Besten - Das große Lesen". Dann ist's ja gut, endlich kommt Deutschland zum Lieblingsbuch, mal wieder macht's die Masse. Nichts einzuwenden gegen ein Lieblingsbuch, aber "das liebste Buch der Deutschen" klingt eben monströs, Weitermelken einer erfolgreichen, unsympathischen Idee, Versuperstarisierung, Lieblingsbuch mit Pauken und Trompeten.

Ich mag sie nicht, die Ausbreitung der Schönheitswahl, oder auch des Hundert-Punkte-Systems, die Parker-Bewertung aller Lebensbereiche, die Lächerlichkeit der Ausrufung des Besten, Größten und Tollsten. Widerliche Aneignungen.

Und dann ist da noch "das schönste deutsche Wort", gesucht vom Deutschen Sprachrat. Wir werden es noch rechtzeitig erfahren, interessanter aber ist die Vielfalt, das Rare, seit heute auch auf meiner Festplatte, den gedruckten gebe ich trotzdem nicht her, "Der Digitale Grimm", dazu bald mehr...

NV am 11.07.2004 um 19:29


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