Nikolai Vogel / nachwort.de

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Dienstag, 23. Oktober 2007

Dein Haus und mein Haus

Den Tag vor vorgestern, vorgestern und gestern "Das Haus" von Mark Z. Danielewski gelesen. Da gibt es in einem Zimmer plötzlich einen neuen Gang und dann zweigt da wieder einer ab und es wird immer größer. Und im Buch wuchern Fußnotenlabyrinthe. Der Text tarnt sich als Film und nimmt seine Interpretationen vorweg und mithinein. Gleichzeitig führt er das Interpretationswesen vor. Niemand macht sich daran, wirklich über das eigentlich Eigenartige, Unheimliche zu schreiben, sondern alle benutzen die Vorfälle, um ihre eigenen Theorieansätze und Themen ins rechte Licht zu rücken (ganz ähnlich wie ich das für einen anderen verschachtelten, wenngleich viel kürzeren und dabei unglaublich dichtem Text schon mal ausführte, in meinem Buch "E.T.A Hoffmanns 'Der Sandmann' als Interpretation der Interpretation"). Der Text ist das Haus und die Interpretationen sind das, was immer neue Wege und Räume darin aufmacht, es ins Unermessliche wachsen lässt und fortwährend umschreibt. Die Interpretationen und ihre Theorien sprechen nur über das, was sie interessiert, das, was sie sehen können - und wenn sie nichts sehen können, sprechen sie eben über sich selbst. Das Buch verhält sich dabei wie das anomale Haus, es dreht sich weg, ändert die Lage, verschiebt sein Bedeutungsgefüge, nimmt die eigene Lektüre mit auf und wischt sie wieder weg. Die Hauptfigur liest das Buch in einer Passage sogar selbst, wozu sie es aber gleichzeitig verbrennen muss, da sie im Dunkeln bleibt - Vorgabe eines verrückten Lektüretempos. Etliche Seiten fließen dem normalen Satz davon, auch der Satzspiegel verschiebt, verlagert sich, dehnt sich aus, zieht sich zusammen.

Da haben Kilian Fitzpatrick und ich, als wir exakt zum Jahreswechsel 1999/2000 "Welt II" vorlegten, also gleichzeitig mit Ähnlichem gespielt. Und auch inhaltlich ebenfalls durch eine Anomalie angetrieben, nur dass bei "Welt II" eher die Zeit als der Raum immer neue Falten wirft - Gegenwart.

Als Thor Kunkel auf seiner Lesung bei Season II im Juli 2005 "Welt II" und seine verschachtelte Typographie sah, wies er mich auf Danielewskis Haus hin, das er im Original gelesen hatte, und erzählte, er habe schon viele Lektoren hierzulande auf diesen wahnwitzigen Roman aufmerksam gemacht, aber es habe niemanden so wirklich interessiert, zu verspult, als dass man glaube, das würde sich verkaufen. Jetzt, sieben Jahre nach Erstveröffentlichung, erscheint der Brocken also doch noch auf Deutsch, in einer sehr schönen Ausgabe, und es sieht so aus, als verkaufe er sich. Nur der Bucheinband mit seiner Collage gefällt mir nicht so gut, in schlichtem Tiefschwarz wäre er mir lieber gewesen, das Buch als ein dunkler Ziegel.

Und Kilian und ich erhalten für unseren neunteiligen WeltII-Nachfolger "Mond0", von dem die ersten vier Bände als Beta-Versionen vorliegen, den Bayerischen Kunstförderpreis. Vielleicht bekommt neben konventionell, langweiligem Mainstream also nun endlich auch Experimentelleres wieder mehr Aufmerksamkeit. Und vielleicht finden wir dafür dann sogar einen Verleger ...

NV am 23.10.2007 um 20:40


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