Nikolai Vogel / nachwort.de

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Montag, 18. Dezember 2006

Vorige Woche in Zügen

München - Antwerpen

So früh, so früh, und müde und die Augen zu, wenn ich nicht aus dem Zug schaue. Mehr ist im Notizbuch - für einen anderen Text. Dreimal umsteigen.

Antwerpen - Amsterdam

In Schichten ziehende Wolken. Der ganze Himmel ist in Bewegung. Die in tiefere Farben hineindämmernde Landschaft.

Amsterdam - München

Stimmengewirr im Zug. Jeder will was sagen. Was so herumschwirrt. Bienenstock. Und die Landschaft zieht vorbei als wäre sie dafür gemacht. Klemmende Reisverschlüsse, zurückgelegte Sitze. Die Zeitung schon am Vortag ausgelesen. In schwammige Semmeln alten Gouda. Der Schaffner sucht Zugestiegene. Das Licht legt sich auf verlassene Felder, zeichnet weiche Schatten. Am Himmel Anflüge, erste Versuche zur Wolkenbildung. Emmerich und der Zug immer noch ein Hühnerstall, Geschnatter, am Wasser draußen vorbei. Windräder. Der Schaffner geht gegen die Fahrtrichtung durch den Zug, der an einzeln stehenden Backsteinhäusern sein Geräusch entlang zieht. Einstein und Doppler. Angewandte Physik. Auch die Zeit läuft weiter, auf allen Handgelenken. Jetzt im Schaukelgang. Gestrüpp und dünnstämmige Wälder. Wo sind die Tiere? Die Bahnschranken unten, aber keine wartenden Autos. Es ist Sonntag. Sonntagmittag, kurz nach zwölf. Haldern und in einem Garten die Deutschlandflagge. Braunes Laub. Heu unter schwarzen Planen. Vögelzug. Hochspannungsleitungen. Dunst und der Tag wird schon wieder dunkler. Der Kaffeewagen. Und der Zug rollt langsam dahin. Die Sitze besetzt und über den Reisenden ihr Gepäck. Dickleibige Koffer, herabbaumelnde Rucksackbänder, bunte Plastiktüten. Im Audio-Angebot unter den Armstützen Yusuf Islam und Mozart. Wesel. Echogebiet einer Lektüre. Schüttere Haare, Brillen, Nagellack, schwarz und rot, halb freigelegte Brüste, geöffnete Handtaschen, Parfumschwaden, Verlagerung der Schwerpunkte für Rücken und Gesäß. Draußen ein weißes Pferd, das sich geduldig Gras rupft. Wieder Deutschlandflaggen. Schlanke Birken und gerade riecht es nach Gas. Signale. Der Zug fährt schneller. In wenigen Minuten erreichen wir Oberhausen, tönt es aus dem Lautsprecher hintereinander auf Deutsch, Holländisch und Englisch, und die Gewichte halten die Oberleitung stramm. Abgeschlagene Bäume neben den Gleisen, zerschlagene Fenster, Graffiti, Rostverhau. Menschen im Wartehäuschen, einer sitzt, die anderen stehen lieber und eine Taube beäugt den abfahrenden Zug und wendet sich dann wieder den Bröseln zu. Eine grüne Uhr am Bahnhofsturm zeigt um halb eins fünf nach fünf, abgestellte Güterwagen, der Zug legt sich in eine leichte Kurve und ein anderer fährt vorbei. Spaziergänger mit Hund. Spatzen auf der Hochspannungsleitung, in Ruhe gelassene, dottergelbe Baustellenfahrzeuge. Balkone mit Aussicht auf die Schienen. Jetzt Haus an Haus und abblätternde Farbe, Duisburg Hbf, weiter nach Deutschland. Der Schaffner drückt einen Knopf, kleine Kinder, die hochschauen, ins Gesicht des Vaters, der Getränkewagen kommt zurück.

NV am 18.12.2006 um 23:08


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