Nikolai Vogel / nachwort.de

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Juli 2007


Montag, 23. Juli 2007

Zu den Kanälen

Die Palazzi driften vorbei. Eine Frau mit Kind, aufgeregt. Ihre fahrigen Handgriffe suchen den Geldbeutel. Er ist weg. Tränen. Am Telefon um Hilfe. Geklaut. Ringt um Fassung, das Kind steht daneben. Die Palazzi driften vorbei. Die Passagiere spiegeln sich in den Fenstern der Anlegestellen. Der Vaporettokapitän hört Michael Jackson. Anlegen, ablegen. Die Palazzi driften vorbei. Auf der 52. Biennale Totenköpfe - kaum ein Pavillon kommt ohne einen aus. Sie türmen sich auch im Biennale-Devotionalien-Laden. "Think with the Senses – Feel with the Mind". Und dann ist es eine Schädelstätte? Der Tod der Kunst, der sich der Mode anbiedert? Die Pavillons driften vorbei. Isa Genzkens Installation im deutschen wirkt wie aus den Achtzigern. Raumfahrer & Spiegelfolie. Nur Affen spielen mit dem Tod und Koffer tragen Eulen nach Athen. Im italienischen viel mittelmäßiges von bekannten Künstlern: Späte Richters, aufgeblasene Polkes, Kellys wie aus dem Holzbaukasten. Fast nichts los. Die Pavillons driften vorbei. In einigen Ländern sind wir alleine. Friedrich Wilhelm Murnau in Rumänien. Gonzalez-Torres "America" nehmen wir mit an den Lido, Handtuch und Picknickdecken-Ersatz. Quallen? Oder sind es Algen, die plötzlich auf der Haut brennen? Ein Ehepaar sammelt Muscheln in Spar-Tüten. Frühabends Spritz mit langem "i" und Weißwein am Fischmarkt. Die meisten Touristen sprechen hier Deutsch. In Florenz hingegen ist Amerikanisch zu Hause. Einundzwanzig Mücken um drei Uhr nachts. Früh aufstehen, so lange die Stadt nicht voll ist und die Hitze noch kommt. Die Palazzi driften vorbei. Ein Supermarktangestellter in Murano singt morgens lautstark Queens "Bohemian Rhapsody", Radiohilfe beim Regaleinräumen. Ein langer Mittag in Torcello, dann wieder die kleinen Gassen. Die Palazzi driften vorbei. Im Arsenale Kitsch und Kunst mit bloßer Politikbehauptung. Fotos und Videos driften vorbei. Langes Gelatsche durch eindrucksvolle Architektur. Ein Servicemitarbeiter fährt uns im Buggy zurück. Die Hallen driften vorbei. Leere Ausstellung, volles Vaporetto. Lido und zurück. Kanäle, Brücken, kleine Gassen. Bacari-Suche. Ombre rot und weiß, Brötchen mit Stockfisch. Die schönste Stadt der Welt? Die Palazzi driften vorbei. Die Wärme der Sonne bleibt auch im Dunkeln. Das nächtliche Leinen nass, der Körper öffnet die Poren.

NV am 23.07.2007 um 14:19 »


Sonntag, 22. Juli 2007

Eine Woche zurück

Adam und Eva in den Uffizien, Cranach versus Dürer/Grien. Cranachs Eva lockt mehr. Hat auch schon abgebissen. Müde im Zug nach Arrezzo. Jede Uhr zeigt eine andere Zeit. Piero della Francesca und seine Geschichte vom Kreuz. Ein Fisch im gemalten Marmor der Bacci-Kapelle. Sandalen im Gang. Die vielen Schritte abgestellt. Unbeantwortete Telefonate. Mails. Korrekturen am Roman, viele Kommas. Nebenan wachsen die Bilder. Schreiben über eine Münchner Kneipe.

NV am 22.07.2007 um 14:45 »


Samstag, 7. Juli 2007

Eintrag 301 am 7.7.7.

Im Supermarkt 62,62 EUR gezahlt. Käse, Brot, Oliven für die Eröffnung heute abend um acht im Studio Beckmann, Villetta, Villa Romana. Thomas Glatz zeigt Exponate seiner Kunstsammlung, die nur Stücke enthält, die nicht teurer waren als 4,99 EUR.

NV am 07.07.2007 um 17:21 »


Mittwoch, 4. Juli 2007

Ich habe gehört

Gerüchte riecht man nicht. Man hört oder liest sie. Vieles kennt man vom Hörensagen. Oder weil es einem so durch die Augen geht. Bilder, die man erinnert. Ein Platz, der einen anderen holt. Ausgrabungen. Schichten. Vergleiche. Sich die Augen zuhalten, die Ohren, die Nase. Hast du gehört? Und einen ganzen Werkzeugkasten im Ohr, diesem mechanischsten unserer Sinne. Und doch dem, der am nächsten am Rausch ist, mit Muscheln und Wellen und Schwerkraft.

[Fernbeitrag für das Season II Vorprogramm am 4. Juli 2007]

NV am 04.07.2007 um 14:46 »


Dienstag, 3. Juli 2007

Seitlich liegende Tunnelarbeit, die uns ihren Staub ins Auge trägt

Nachts Geräusche von Draußen und oben. Offene Fenster. Mückennetze. Die weit herausgezogenen Schubladen, die der Einbrecher vor eineinhalb Wochen im Nachbaratelier hinterließ. Ein Fassadenkletterer auf der Suche nach Barem. Nachts Twin Peaks und insgesamt doch eine Enttäuschung? Als Dieb sollte man mit Jacken rumrennen, auf denen groß "Dieb" steht. Eine Echse klettert einen Stamm hoch, ihren Schwanz hat sie mal abgeworfen. Die Hunde bellen immer noch. Bekläffen erst den Vormittag, dann den Nachmittag, die unerbittliche Zeit. Die Busse bringen Leute in die Stadt und aus der Stadt raus. Abends ein langer Straßenspaziergang bis zur Certosa del Galluzzo. Das schmiedeeiserne Gatter längst zu, der Nachthimmel über die Pontormos gehüllt. Und der ganze Montag geschlossen, Galluzzo verrammelt, keine Pizza, kein Kaffee, nur Metalljalousien.

NV am 03.07.2007 um 16:08 »


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