Nikolai Vogel / nachwort.de

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Dienstag, 22. März 2005

Leipzig - München - Notizen im Zug

Donnerstag bis Sonntag zur Buchmesse. Mit Johan in einer Privatunterkunft am Stadtrand, die Straße kannte keiner der Taxifahrer, mit denen wir nachts zurückkamen, aber keinen schien dies zu verwundern, wir wurden befragt, als seien wir die Ortskundigen. Wege kennen ist hilfreich, Wege erfinden spannender.

Samstagabend zur Edit im Telegraph, wo Katrin Dorn, Björn Kuhligk, Bernd Lichtenberg und Jan Böttcher lasen - schrie ich aus dem Publikum zwischen zwei Sätzen kurz sehr laut um Ruhe. Schwatzende Esser, Musik und Malerei haben es da leichter, aber auch nur vielleicht, wie funktionieren Kulturen in denen alles nebenbei mitgenommen wird, in Taschen gestopft zur späteren Verwendung, die nicht folgt, eine allmähliche Verstopfung, die Fülle suggeriert. Lesungen geben da eine schöne Drift, das, was man hört und verwebt mit den Tagesgedanken. Nicht allein für das Publikum, auch für den, der spricht, Sätze aus den Atemwegen in die Luft formt.
Wie wichtig ist es, sich beim Lesen selbst zuzuhören, während des Sprechens mitzulesen, den Text aufzufächern, jedes Mal, nicht nur zu wiederholen? Lesen ist auch die Drift vom Text weg, wie man den sich ausbreitenden Wellen folgt und nicht dem zuvor in ihre noch nicht vorhandene Mitte geworfenen Stein, der sie ausbreiten wird. Oder doch wieder dem Stein, flach in die Wasserebene hineingeschleudert, aus der er nur ab und zu sichtbar wird, selbst zur Bewegung der Welle geworden.

Ein guter Abend. Auch Donnerstag und Freitag waren bunt. Wege tags und Wege nachts. Standkaffee, Hallenwelt, abends Ausschwärmen in die Stadt. Mehr Leseorte als Telefonzellen? Partyräume, heiß wie vor der Sauna, Trunkene, tanzversessen im Vergessen einiger Textschwere. Messepartymainstreamdiskodeejays im gefälligen Kanon. Blut im Schuh.

Aus dem Zug unter dem Licht liegende Landschaft. Der über der noch kalten Luft stehende Blauhimmel und die Tönung der Scheiben machen die vorbeitreibenden Gegenden, die Felder, Industrieanlagen, Dörfer und Wiesen etwas unwirklich, als läge ein vielleicht, ein als ob darüber. Gemengelage der Zeit. Literatur ist kein Geldtransport.

NV am 22.03.2005 um 23:39


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