Nikolai Vogel / nachwort.de

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Dienstag, 9. November 2004

Hören und lesen in Berlin

Kalt ist es in Berlin. Mit dem Zug aus München, drei Nächte eine Wohnung in der Schönleinstraße gemietet, mit Silke, Norbert und Carola. Enthusiasiert kommt uns nachts beim U-Bahn-Aufgang einer entgegen, schreit immer wieder "Der Kaffee ist fertig". "Schön", bestätigen wir und hüllen uns in unsere Schals. Morgens in den Zeitungen die großen billigen Wohnungen, die in der Stadt zu haben sind, immer noch.

Losnummer fünf von achtzehn beim 12. Open Mike im PODEWIL. Das Lesepult wackelt, schnell noch gefaltetes Papier darunter und Luft holen. Patricia Klobusiczky, die den Text auswählte, stellt mich gut vor, baut Erwartung auf. Vierzehn Minuten und 41 Sekunden brauche ich für mein Cut Up aus Geld Scheiße, der Stakkato-Beginn, die Tempowechsel, der sich überschlagende Schluss. Der nach mir gelesene Text ist der einzige, von dem ich dann nur das Ende höre, zwischendrin draußen Atem holen. Wichtig die langen Pausen, in denen sich die Meinungen entfalten, man an Gesprächen vorbeistreift, angesprochen wird, anspricht - die Pausen als Herz des Wettbewerbs, in dem er zu sich kommt, sich entfaltet.

Nachts nach dem großen Treffen im Prater, wo wir alle etwas erschöpft sehr hungrig über eine Stunde auf das Essen warten müssen, mit Johan zum Ausklang in eine andere Kneipe am Prenzlauer Berg. Das Getränk in der Hand, die Augen auf das Kommen und Gehen, die Bewegung der Flüssigkeiten. Minibasar. Ein Punk mit Bastkörbchen in der Hand, Space Cookies in Alufolie. Ein anderer reicht einen meterlangen Joint herum. Wir bleiben beim Brandy, wärmen uns.

Die Autoren? Angenehm. Man redet locker miteinander, beäugt sich nicht heimlich. Hochmut und divenhaftes Verhalten noch nicht ausgeprägt. Lachen über Ausdrücke wie Wettlesen. Eine Live-Anthologie. Die Jury? Eine Black Box. Lange schien sie sich nicht einigen zu können - das Warten strengt am meisten an - eine Jury ist eine Jury ist eine Jury - wirkt erschöpft als sie sehr verspätet auf die Bühne steigt, offen ist es und spannend...

Im Zug. Incunabula, die Augen oft geschlossen, windwind. Ian McEwans Der Zementgarten im Bahnhof gekauft und gelesen zwischen Leipzig und Erlangen, der etwas absehbare Plot. Den Koffer heimziehen. In der Post Weinwerbung. In der Post die BELLA triste. Abends noch einen guten Volnay Clos des Chenes von Michel Lafarge. Den Wein im Glas drehen und den Ereignissen des langen Wochennedes eine Zeit lang nachsinnen. Früh und müde eingeschlafen. Am Morgen der erste Schnee. Vom Bahnhof viele Zeitungen.

NV am 09.11.2004 um 20:09


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